Erstes Kapitel


Wie König Heinrich Rosamunden findet

[98] Der König Heinrich jagt im Wald

Mit Hof- und Jagdgesinde,

Es führt sein Ritt ihn alsobald

Auf eine weiße Hinde;

Und nach, durch Ginster und durch Porst,

Spornt er sein Roß, bis tiefer Forst

Das Tier in Schutz genommen.


Des Weges bar, durch Strauch und Dorn

Lenkt Heinrich jetzt den Schecken

Und ruft Hallo und stößt ins Horn,

Um Gegengruß zu wecken;

Wohl hört er, wie das Birkhuhn schwirrt,

Wie über ihm die Taube girrt,

Doch nichts von Hornesklängen.


Der Tag ist heiß. Es weht kein Hauch,

Und Roß und Reiter dürsten,

Kein Quell ist da, kein Brombeerstrauch

Beut seine Frucht dem Fürsten;[98]

Der denkt wohl: »Wenn ich Wasser hätt',

So wahr ich ein Plantagenet,

Ich wög' es auf mit Golde.«


Da schnaubt sein Scheck, und noch einmal,

Wie wenn er Obdach wittert –

Und sieh, ein Schloß im Sonnenstrahl

Hell durch die Zweige zittert.

Schon halten Roß und Mann davor,

Und gastlich öffnet sich das Tor

Dem ungekannten Ritter.


Und in die Hall' voll Waffenprunk

Ist Heinrich jetzt getreten

Und hat um Wasser, einen Trunk,

Den Graubart drin gebeten;

Der aber spricht: »An Cliffords Schwell'

Labt man den Gast mit andrem Quell –

Schaff' Wein uns, Rosamunde!«


Und alsobald die junge Maid

Ergreift die güldnen Kannen,

Sie grüßt den Gast in Sittsamkeit

Und schwebet leicht von dannen;

Ihr Haar ist blond, ihr Wuchs ist schlank,

Und Heinrich weiß der Irrfahrt Dank

Um solchen Findens willen.


Und jetzund wieder in den Saal

Tritt sie nach kurzem Gange,

Rot glüht der Wein im Goldpokal,

Und rot glüht ihre Wange;

Sie beut den Trunk mit Sitten dar,

Dem König aber wird fürwahr,

Als hätt' er schon getrunken.


Und als er trinkt, da trinkt er nicht

Mit Lippe nur und Kehle,[99]

Da trinkt sein Aug' ihr Angesicht

In seine tiefste Seele;

Und eh' die Maid sich abgewandt,

Ergreift er ihre weiße Hand,

Zum Danke sie zu küssen.


Da schau, von Simses Stuck und Kalk,

Gespornt an jedem Hacken,

Schießt Rosamundens Edelfalk

Auf seiner Herrin Nacken;

Er bläht sich auf in Tück' und Trutz

Und hebt den Sporn zu Schirm und Schutz,

Voll Eifersucht im Herzen.


Doch ob er zürnt und ob er wetzt,

Den Kühnen zu verjagen –

Die Hand, sein Todfeind küßt sie jetzt

Trotz seiner Flügel Schlagen;

Schön Rosamunde schenkt ihm ein,

Und selig blickt der König drein,

Wie nie in seinem Leben.


Und auch dem Alten wird so warm,

An hebt ein tapfres Zechen,

Es zuckt ihm schier durch Herz und Arm,

Als sollt' er Lanzen brechen,

Den Goldpokal, er stampft ihn auf,

Als wär's ein alter Degenknauf,

Und Blut statt Wein im Becher.


Der König schaut's und lohnt ihm drauf

Mit festlichen Turnieren,

Und gibt noch Schlachten in den Kauf

Mit Schotten und mit Iren;

Und wie so Strauß an Strauß sich drängt,

Da wohl an jedem Worte hängt

Die schöne Rosamunde.[100]


Der alte Clifford aber längst

Den Becher still umkrampfte,

Er hört's nicht mehr, wie Heinrichs Hengst

Den Douglas einst zerstampfte;

Wohl aber, als der König schweigt,

Murrt er, sein Haupt in Gram geneigt:

»Daß einen Sohn ich hätte!«


Da auf vom Sitze springt sein Gast

Und ruft: »Der ist gefunden!

Gib mir das Kleinod, das du hast,

Die Hand von Rosamunden!

Zu gutem Schwert und gutem Roß

Ein junges Herz und altes Schloß,

Das ist es, was ich biete.«


Der Alte sieht sein Kind erglühn

Vor Scham und Freud' im Bunde;

Er weiß, wenn so die Rosen blühn,

Ward's Lenz im tiefsten Grunde.

So spricht er denn: »Mein Kind sei dein,

Und morgen soll die Hochzeit sein –

Wir brauchen keine Gäste!«

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 98-101.
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